Ein Gastbeitrag von Silke Krämer.
Mit 14 begegnete ich während einer Mathe-Arbeit einem Bären
Ich saß in der Mathearbeit und starrte ein riesiges Loch in die Luft. Ich hatte immer noch die Hoffnung, die 3. Ableitung der binomischen Formel würde darin erscheinen wie eine diesige Fata Morgana vor Sonnenuntergang. Ich starrte und wartete nun schon ein ganzes Weilchen, doch sie kam nicht. Stattdessen zeigte sich mir etwas anderes: Es war ein riesiger, dunkelbrauner und furchteinflößender Bär. Ein Bär? Wieso ein Bär?
So wenig ich verstand, warum der Bär kam, war für mich nachvollziehbar, dass er größer und größer wurde. Meine Hände wurden glitschig und mein Herz raste. Ich konnte den Blick gar nicht mehr von ihm abwenden und glotzte starr vor mich hin. Plötzlich spürte ich eine Berührung auf meiner Schulter. Ich erschrak zu Tode!
Es war die Hand meines Mathe-Lehrers, der mich fragte, ob mir nicht gut sei. Ich sähe so blass aus, sagte er. „Doch doch, alles prima …“, versicherte ich ihm mit zittriger Stimme. Er lächelte mich zögerlich an und ging weiter.
Hunderte Male hatte ich diese Formel schon verwendet. Und jetzt? Weg. Blackout.
Prüfungsangst oder Blackout? Im Körper passiert das selbe.
Ich bekam so richtig Stress. Und da war er dann: Der Bär! Aber wieso eigentlich ein Bär?
Naja. wissen Sie, damals als Steinzeitkind ging ich mit meiner Mama Beeren pflücken und wir begegneten einem Bären. Meine Mama wusste sofort, dass das eine hoch riskante Situation war und mir wurde es an ihrer Reaktion auch gleich klar. Damals verinnerlichte ich, dass mir ein Bär Stress macht, denn mein Körbchen mit den Beeren rutschte mir fast aus meiner schweißnassen Hand und mein Herz klopfte so laut wie die Drums von Lars Ulrich, dem Schlagzeuger von Metallica. Der Bär aktivierte zwar mein sympathisches Nervensystem, doch sympathisch war er mir schon lange nicht mehr. Adrenalin und Cortisol im Blut kann ich nicht leiden.
Egal wie alt, so fühlen sich Menschen, wenn ihr Kampf-und-Flucht-Mechanismus aktiviert ist. Und Kinder, die einen noch aktiven Moro-Reflex haben, fühlen sich besonders häufig so. Denn ihr sympathischer Bär tritt schon bei ganz kleinen Problemen auf den Plan, wodurch ein Teufelskreis entsteht.
Doch wie können wir dem körperlichen Stress entgegen wirken, der uns in ein Blackout und in Prüfungsängste laviert? Wir müssen vorher unseren „Abwehrmuskel“ trainieren, um im Stressfall einsatzbereit zu sein. Dieser „Abwehrmuskel“ ist unsere Steuerungszentrale, nämlich das Gehirn. Es muss vor dem Ernstfall gelernt haben, wie es in die Entspannung kommen kann.
Die nachfolgenden Tipps können Ihrem Kind dabei helfen, die Prüfungsangst zu überwinden.
Tipp #1: Entspannung an einem bestimmten Traum-Ort
Ihr Kind kann sich jeden Abend auf eine Traumreise begeben, in der es einen entspannten Wohlfühlort in den Gedanken kreiert. An diesem Ort hat Ihr Kind nur gute, entspannte und wohlige Gefühle. Vor einer stressigen Situation kann Ihr Kind in Gedanken einfach an diesen Ort gehen und es spürt dabei automatisch die Gefühle, die es mit diesem Ort verbindet.
Tipp #2: Entspannung in ruhigen Situationen erarbeiten
Entspannung muss man sich bewusst erarbeiten - und das geht nur, wenn man gerade entspannt ist. Dann kann man diese Entspannung abrufen, wenn es darauf ankommt. Das kann durch Yoga, Atemübungen, Meditationen oder die unter Tipp #1 erwähnten Traumreisen sein. Nur so kann Ihr Kind dann, wenn es darauf ankommt, in einen entspannten und ruhigen Zustand kommen. Ein Kinder- und Jugendcoach, ein Yogalehrer oder ein Entspannungscoach können dabei helfen.
Tipp #3: Dem Gehirn sinnvolle Fragen stellen
Fragen wie:
- „Ohje, was mach ich bloß, wenn ich eine Aufgabe nicht weiß?"
- "Was, wenn ich versage?"
- "Was, wenn etwas drankommt, das ich nicht gelernt habe?“
sind nicht zielführend, weil sie Ihrem Kind nicht die Antwort bringen, die es sucht. Deshalb sollten dem Gehirn lieber Fragen gestellt werden, die Ihr Kind weiter bringen, wie zum Beispiel: „Wie haben wir das im Unterricht immer gemacht?“ oder „Ich erinnere mich an den ersten Schritt, welcher folgte dann?“.
Tipp #4: Gute Vorbereitung
Wenn in letzter Minute die Hektik ausbricht, weil Ihr Kind die entsprechenden Arbeitsmaterialien nicht bereit gelegt hat, sorgt das für unnötigen Stress. Deshalb sollte rechtzeitig, spätestens am Vortag überprüft werden, ob Ihr Kind alle notwendigen Materialen hat.
Tipp #5: Vermeidung anderer Stressoren
Es gibt Faktoren, die man vielleicht gar nicht unmittelbar mit Prüfungsangst oder Blackouts in Verbindung bringt. Die Adrenalin und Cortisol-Konzentration im Blut steigt zwar bei Stress, doch begünstigen auch andere Faktoren ihre Freisetzung. Das wirkt sich negativ auf die Konzentrationsfähigkeit aus und bedingt damit auch Prüfungsangst. So ist es wichtig, dass Ihr Kind ausreichend schläft, sich gesund ernährt, wobei Blutzuckerspitzen vermieden werden und Ihr Kind ausreichend Bewegung hat (und das ist meist mehr, als man denkt).
Tipp #6: Frühkindliche Reflexe integrieren
Kinder mit einem aktiven Moro-Reflex reagieren noch viel schneller auf Stress als andere. Da Adrenalin und Cortisol sozusagen die Sinne schärfen, kann ein wahrer Teufelskreis entstehen. Moro-Kinder reagieren viel sensibler auf Lärm und andere Reize. Deshalb stehen sie oft unter Dauerstress. Ob frühkindliche Reflexe noch aktiv sind, können Sie hier ganz einfach und kostenlos testen: https://silke-kraemer.de/reflexintegration-fragebogen-online-check/
Tipp #7: Die eigene Einstellung
Wenn es sich nicht gerade um eine Abschlussprüfung handelt, wird es eine von unzähligen Prüfungen sein, die Ihr Kind in seinem Leben bestehen soll. Wenn da mal eine daneben geht, ist das kein Weltuntergang und sagt nichts über den Charakter aus. Eine gewisse Gelassenheit hilft Ihrem Kind dabei, gar nicht erst so viel Druck entstehen zu lassen. Ihr Kind sollte sich daher realistische Leistungsanforderungen an sich selbst stellen.
Die Autorin:
Silke Krämer ist Expertin für Jugend- und Familienfragen in Heidelberg. Sie hat 10 Jahre als Gymnasiallehrerin gearbeitet, ist dreifache Mama und hilft heute in eigener Praxis dabei, dass sich Kinder nicht nur als Schüler fühlen. Mütter und Väter unterstützt sie dabei, sich den Herausforderungen des Alltags selbstbewusst zu stellen und dabei harmonische Beziehungen zu leben.
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